Ich beruhige mich langsam wieder. Leopold baut mich mit seinem süßen Lächeln wieder auf und ich rede mit ihm, dass wir Zwei das gemeinsam rocken. Endlich sind wir da, die Anmeldung verlief schnell und problemlos. Die Damen an der Rezeption sind super freundlich und nehmen mir noch ein bisschen mehr die Aufregung. Mir ist schlecht & schwindelig, aber ich kämpfe mich durch. Es dauert nicht lange und schon dürfen wir ins Arztzimmer. Leopold und mir wurde der Ablauf der Untersuchungen erklärt und einige Daten abgefragt. Die Fachärztin sieht mich an und merkt wie aufgeregt ich bin. Bei der Abfrage von Größe und Gewicht bei Geburt haue ich alles durcheinander. „Mensch, Julia, was ist mit dir los. Jetzt reiß dich zusammen.“, rede ich leise vor mich her. Die Ärztin erkennt meine Aufregung und das was nicht stimmt. Sie dreht sich vom Computer weg und sieht mich an. Mit ganz ruhiger Stimme und einem kleinen Streicheln über meinen Arm, sagte sie mir, dass ich mir ganz viel Zeit lassen soll und das alles gut ist. Ich teile ihr wieder mal unter Tränen in den Augen mit, dass ich gerade total neben mir stehe. Ich mich so sehr versuche zu konzentrieren, weil der Papa von Leopold auch ein paar Informationen am Ende haben will, dass ich gerade Angst habe, dass mich das alles überfordert. Sie sieht mich lächelnd an und sagt mir, dass es eine Lösung geben wird, wenn das Endgespräch mit der Chefärztin stattfindet. Sie versucht, dass wir Tobias via Telefon zuschalten können. Mich beruhigte das etwas. So konnten wir vorerst mit allem fortfahren. Ein Mann mit einer Kamera in der Hand betrat den Raum, machte aus verschiedenen Position Bilder des Ärmchen, klärte mich auf, dass es für die Akten wichtig wäre und verschwand wieder. Die Ärztin nahm sich wirklich lange Zeit für uns. Sie untersuchte Leopold und schickte uns danach zu verschiedenen Untersuchungen. Wir zogen also los. Leopold und ich in einem fremden großen Krankenhaus. Röntgen auf Ebene 3, Ultraschall auf Ebene 5 usw.. wir arbeiteten unseren Zettel brav ab und nach allen Untersuchungen fanden wir uns wieder in der Handchirurgie ein. Die Ärztin machte schon vor den Untersuchungen kleine Andeutungen, aber sie wollte auf Nummer sicher gehen. Aber endlich mal eine Ärztin die redet! Eine Ärztin die Bedenken schon vorher äußert, nicht immer dieses Schweigen, das wir doch schon so oft erlebt haben. Als wir wieder aufgerufen wurden, befanden sich nun Fachärztin und Oberärztin im Raum und sofort kam mir wieder dieses Bild von der Feindiagnostik in den Kopf. Sie schauten sich alles ganz genau an und auch hier wieder nickte die eine Ärztin der Anderen zu! Das hatten wir doch schon einmal genau so. Was erwartet mich jetzt? Dieses Mal habe ich Tobias nicht an meiner Seite, der mich auffangen kann. Nach einer kurzen Auswertung untereinander wurde mir mitgeteilt, dass die Chefärztin gleich da sein wird um alles zu besprechen. Und da war sie auch schon. Eine tolle, freundliche herzliche Frau. Die Oberärztin teilte ihr mit, dass der Papa des Kindes vor der Klinik warten muss und ob es möglich wäre, dass wir ihn telefonisch jetzt dazuschalten. Plötzlich ein rauer Ton von ihr: „Das kommt gar nicht in Frage!“.. ich sah sie erschrocken an. Sie fuhr fort,: „Sie rufen jetzt ihren Mann an und sagen ihm wo er hin muss und dann kommt er natürlich zu dem Gespräch persönlich mit hier her!“. Oh mein Gott!!!! Der erste positive Satz an diesem Tag! Ich rief Tobi an und er machte sich sofort auf den Weg. Leopold machte alles immer noch fantastisch. Er war im Moment noch mit seinem Hirsekringel beschäftigt. Tja, da sitzen wir nun, Tobi und ich, Leopold auf dem Untersuchungstisch. Das Gespräch beginnt.. „Ihr Sohn hat einen ulnaren Reduktionsdefekt mit radiohumeraler Synostose und hochgradiger Ulnahypoplasie Bayne IV, Oligodaktylie.“ Ok, dachte ich. Sie lächelte uns an und erklärte uns alles in „Nichtarztsprache“. Unserem Leopold fehlt die komplette Elle, auf dem Röntgenbild ist ein kleiner Ansatz zu sehen, aber sie wuchs bei der Entwicklung leider nicht weiter. Die Speiche ist vorhanden, aber verkürzt. Des Weiteren ist sein Ellenbogengelenk mit seinem Oberarm verschmolzen, sodass er nie seinen Arm beugen kann, er besitzt kein Handgelenk, keine Handwurzelknochen und es sind 1 1/2 Fingerchen angelegt. Er hat einen Daumen, und einen 2-gliedrigen Zeige- oder Mittelfinger. Das konnte man noch nicht so gut erkennen. Es gibt 4 Stufen von Leopold’s Fehlbildung. Wir haben Stufe 4. Das bedeutet die schlimmste Form. Die Chefärztin sprach ruhig und sachlich. Sie sah uns an und sagte: „ Leider können wir hier in diesem Fall operativ nichts machen, er wird mit seinem Ärmchen so weiterleben.“ Tobi und ich schauen uns an und fielen uns vor Glück in die Arme..WARUM? Weil das für uns die schönste Nachricht war, die wir erhalten konnten. Ja, auch wenn es für Freunde und Bekannte erstmal ungewöhnlich klang, aber wir waren froh darüber. Keiner der in so einer Situation ist, wird dies verstehen. Wie hätten wir es denn richtig gemacht? Hätten wir uns auf wahrscheinlich einige OP‘s eingelassen, um vielleicht irgendeine Funktion etwas zu bessern? Was wäre gewesen, wenn er den Arm danach gar nicht mehr hätte nutzen können? Er hat Gefühl im Arm, er benutzt ihn genau so wie seinen Linken. Was wäre wenn die gewünschte Funktion nicht erzielt wurden wäre? Was wäre wenn wir OP‘s abgelehnt hätten? Hätten wir damit rechnen müssen, dass Leo später mal fragt, warum wir als Eltern nicht gehandelt haben? Das waren alles Fragen die uns beschäftigten. Wie macht man es richtig? JA genau so. Den kleinen Mann genau so aufwachsen lassen, alle Fähigkeiten so erlernen lassen. Er kennt es doch nicht anders. Die Ärztinnen waren sehr glücklich über unsere Reaktion und gaben uns so viel Mut mit auf den Weg. Genau diesen Mut möchte ich auch weitergeben! Der Tag in Hamburg hätte nicht schöner sein können. Wir setzen uns ins Taxi und fahren zu den Landungsbrücken um das zu feiern was uns ausmacht. Nämlich genau die richtigen Eltern dafür zu sein, so einen tollen kleinen Jungen zu haben, den wir genau so lassen wie er ist.. nämlich perfekt! Für uns perfekt! Bei einem Radler und einem kleinen Essen stoßen wir an und genießen den restlichen Tag bei Sonnenschein in Hamburg..
